Deutscher Meister 1972: GWD A-Jugend feiert 50-Jähriges Jubiläum
Allgemein Handball | 19. Mrz 2022

Es war eine Zeit, in der die Stadt Minden in besonderer Weise mit handballerischer Fähigkeit und großem Siegeswillen gesegnet war. Ein Jahr nach der Triple-Saison 1970/1971, in der die Männer des TSV Grün-Weiß Dankersen zwei Deutsche Meistertitel auf dem Feld und einen in der Halle gewannen, verewigte sich der Traditionsverein auch als Deutschlands bester Talentschuppen in den Geschichtsbüchern: Am 19. März des Jahres 1972 gewann die Dankerser A-Jugend in Essen den Titel des Deutschen Jugendmeisters im Hallenhandball. Es war der erste von insgesamt drei Jugend-Titeln für GWD: 1995 und 2000 holten weitere Dankerser Nachwuchsmannschaften die Krone nach Minden.

Mit dem Triumph im zweitägigen Turnier der fünf Regionalmeister krönte das Team um Trainer Hans Sulk ein perfektes Jahr ohne eine einzige Niederlage. Auch im letzten Spiel behielten die Dankerser ihre weiße Weste: Im Duell gegen den TV Tempelhof-Mariendorf aus Berlin entschied sich in der Essener Raumerthalle die Titelfrage. GWD genügte ein Unentschieden, und genau das holten sich die Grün-Weißen auch. Nach der 8:6-Pausenführung wurden die 20 Minuten der zweiten Halbzeit aber zur Zitterpartie für die Dankerser, denen nur noch zwei Tore gelangen. Jochen Schmidt traf zum 9:8, danach zogen die Berliner auf 9:10 vorbei. Rechtsaußen Klaus-Joachim Riechmann, der zuvor noch einen Siebenmeter vergeben hatte, sorgte schließlich für den goldenen Treffer. Er erinnert sich an die damals entscheidende Szene: „Das weiß ich noch wie im Film. Ich bin nach einem Wackler zwischen Außen und Halb durchgebrochen und habe mir ein Herz genommen“, erzählt er. Der Ball war drin und mit dem 10:10 war der Titelgewinn perfekt.

„Männe Riechmann war richtig gut“, lobt Gerd Becker, der als Rechtshänder vor allem im rechten Rückraum spielte und Riechmann auf Außen mit Pässen fütterte, noch nach 50 Jahren den mit elf Turniertoren besten GWD-Schützen. Der später erfolgreiche Zahnarzt Becker, der ausgerechnet beim Titel-Finale von einer Zahnhöhlenvereiterung behindert wurde, erinnert sich: „Das war ein bisschen sein Wochenende. Meins war es nicht so.“ Becker war damals einziger Mindener Jugend-Nationalspieler, der zum jüngeren Jahrgang gehörende Linkshänder Riechmann rückte erst nach dem Meistertitel in die DHB-Jugendauswahl.

In Essen fußte der Erfolg der Dankerser auf vier Säulen: Zum einen auf den torgefährlichen Außenspielern Riechmann (rechts) und Harald Giesel (links). Zum zweiten auf der von Mittelmann Heiner Marburger und Kreisläufer Dieter Niemeier getragenen Abwehr, die in Ulli Finke und Rainer Niemeyer prächtige Torhüter hinter sich hatte. Die Dankerser warfen mit 34 Treffern in vier Spielen zwar die wenigsten Tore aller fünf Teams, doch mit lediglich 29 Gegentoren stellten sie defensiv einen Bestwert auf.

Drittes Standbein des Teams war der Trainer: Hans Sulk. Die Bedeutung des als „Schleifer“ bekannten Coaches, der damals selbst noch bei GWD in der Bundesliga-Mannschaft spielte, heben alle Schützlinge von einst hervor. „Er war handballerisch und taktisch gut. Hans war ein richtig guter Trainer. Ohne ihn wären wir gar nicht dahingekommen“, betont Gerd Becker. Bernd „Pits“ Böke, Rückraumspieler der bisweilen wilden Truppe, sagt über den 1996 verstorbenen Coach: „Hans hat uns manchmal ganz schön getrietzt, aber das hatten wir auch nötig. Er hat uns zum Erfolg geführt.“

Die vierte Stärke des Teams war der unbändige Wille zum Erfolg. Die Truppe war nicht über Jahre gewachsen, sondern erst zur A-Jugend entstanden. Gerd Becker, Jochen Schmidt, Rainer Niemeyer, Heiner Marburger und etliche andere wechselten zur „GWD-Kreisauswahl“, im zweiten Jahr kam Riechmann dazu. Unter Sulk wuchsen die Fähigkeiten und das Selbstverständnis.

„Wir hatten immer einen klaren Anspruch: Wenn wir gespielt haben, wollten wir gewinnen. Dieser unbedingte Wille hat sich über die gesamten zwei Jahre gezogen“, beschreibt Bernd Böke einen ausgeprägten mentalen Muskel, der auch in der Endrunde zum Trage kam. „Wir hatten immer viel trainiert. Drei, vier mal die Woche, oft auf dem Hartholzboden in der Herzog-von-Braunschweig-Kaserne“, erinnert sich Böke, „wir waren gute Handballer, hatten tolle Spielzüge drauf. So haben wir die körperliche Unterlegenheit immer wett gemacht.“ Doch die spielerische Leichtigkeit war den zuvor von Sieg zu Sieg durch sämtliche Saisonspiele eilenden Dankersern früh im Turnier abhanden gekommen. Im Auftaktspiel brillierten sie bis zum 7:2 gegen den TV Neuhausen – dann riss der Faden und mit Mühe rettet das Team ein 10:10. Fortan lief es nicht mehr wie von selbst: Gegen den Vorjahresmeister THW Kiel (8:5) und gegen den TV Hüttenberg (6:4) mussten sich die Dankerser die Siege erkämpfen, so wie auch das 10:10 im entscheidenden Spiel gegen Berlin.

Mit dem Bus ging es retour in die Heimat, die Party stieg dann in der Vereinskneipe Harry Boy. An einen feucht-fröhlichen Abend erinnern sich die Protagonisten, und an von Helden-Gefühlen getragene Folgetage. Doch die gemeinsame Zeit endete mit dem Titelgewinn. Die jungen Männer gingen ihrer Wege. Einige folgten Hans Sulk und schlossen sich Eintracht Minden an, andere blieben bei GWD. Nationalspieler Becker und Weltmeister Rainer Niemeyer wurden zu GWD-Ikonen. Andere spielten später noch bei GWD in der damals als spielerisch brillant geltenden zweiten Dankerser Mannschaft in der Regionalliga.

In einer Woche will man sich wiedersehen. Beim Heimspiel der Bundesliga-Mannschaft gegen den HSV Hamburg am Sonntag, 27. März, treffen sich die Meister von 1972 zum 50-jährigen Titeljubiläum in der nahezu gleich alten Kampa-Halle. Dort werden sie manche Anekdote erinnern und derer gedenken, die nicht mehr dabei sind: Neben Hans Sulk sind in Andreas Falkenthal, Rainer Niemeyer und Jochen Schmidt drei Meisterjungs bereits verstorben.

Zum Meisterteam 1972 gehörten: Heiner Marburger, Klaus-Joachim Riechmann, Harald Giesel, Bernd Böke, Gerd Becker, Jochen Schmidt, Hans-Dieter Ross, Andreas Falkenthal, Rainer Niemeyer, Ulrich Finke, Gebhard Rütz, Dieter Niemeier, Jörgen Böke, Rainer Kasten und Trainer Hans Sulk.

© Marcus Riechmann – Mindener Tageblatt